Von Russland in die Mongolei

Tag 1
Der Himmel hängt tief und grau über der Stadt. Es ist kaltes, nasses, mieses Wetter. Es ist schwer vorstellbar, dass in dieser Stadt oft die Sonne scheint. Zu sowjetischen Zeiten waren die Sonnenaufgänge klar definiert, 460 mal erschien die Sonne grell und warm über Semey, 460 mal wurden hier Atombombentest durchgeführt, bis sich die Bevölkerung dagegen wehrte. Die Spuren der Tests sind bis heute sichtbar in Form von Krebs und Missbildungen. Semey ist eine Stadt, wie man sich die sowjetische Miesere vorstellt. Trostlose Plattenbauten reihen sich an noch trostlosere Plattenbauten. Alle in einem desolaten Zustand und unbeleuchtet in der Nacht. Nein, hier liegt das Geld nicht auf der Strasse. Obwohl noch nicht in Russland, kann man hier die Schwere förmlich spüren, welche auf der russischen Seele lastet.
Wir machen uns auf den Weg zur russischen Grenze. Die Strassen sind einigermassen ok. Es hat zwar immer wieder Schlaglöcher, welche locker ein Rad wegreissen können, aber wenn man schön mit 100km/h fährt kommt man einigermassen drum herum.
Es ist sowieso mal Zeit, dass wir über Strassen sprechen. Strassen sind die Lebensadern der Ländern und nach fundamentalen Körperfunktionen, wie beispielsweise der Verdauung, jedes Mongol Rally Teilnehmers grösste Sorge. Denn Strassen gibt es in unterschiedlichsten Ausprägungen. So gibt es die favorisierten türkischen Autobahnen. Dreispurig, flach und bestens unterhalten. So kommt man vorwärts. Dann gibt es die etwas schlechteren Hauptstrassen, welche zwar asphaltiert sind, der Asphalt sich jedoch in Form einer Welle der Fahrrichtung entlang ausbreitet. Durch diese Wellen schaukelt sich unser Getz jeweils so stark auf, dass die hinteren Räder knapp die Bodenhaftung verlieren. Weiter gibt es Strassen, bei welchen der Asphalt sich zu kleinen Hügeln auftürmt. Absolut mörderisch für unseren Getz, da wir weniger als die Höhe einer Cola-Dose an Bodenfreiheit geniessen. Und dann gibt es noch die Löcher. Auf einmal fehlt der Asphalt und ein Loch tut sich auf. Oft ziemlich gross und tief. Hier gilt es gekonnt drum herum zu kurven. Natürlich gibt es auch alles kombiniert, wie beispielsweise die turkmenischen Strassen. Berge, Löcher, Wellen, alles zusammen. Eine einzige Tortur. Als letzte Kategorie sind noch die Schotterpisten zu erwähnen. Ohne Asphalt bringen sie unseren Getz zum Vibrieren und bergen mit ihren spitzen Steinen das Risiko die Pneus aufzuschlitzen. Doch bis jetzt hatten wir noch keinen einzigen Platten.
Zurück vom kleinen Strassenexkurs sind wir noch immer unterwegs zur russischen Grenze und das eine oder andere Loch kriegen wir voll mit. Und dann ist die Luft draussen. Endlich, wir haben einen Platten. Wie lange haben wir darauf gewartet. Sind 12000 Kilometer lang gefahren und hofften immer darauf und nun haben wir einen. Vorne links, eine wahre Freude. In gefühlten zwei Minuten wechseln wir das Rad. Die Dauer eines Formel-1 Boxenstopps ist dagegen wie ein Kaffeekränzchen auf einem Donaudampfer. Endlos.
Die russische Grenze passieren wir mit wehenden Fahnen. Einenhalb Stunden zeigt die Stoppuhr und ausser, dem durch einen russischen Grenzbeamten verursachten Riss im Pass vom Reto, gibt es keine besonderen Vorkommnisse aus dem Osten zu vermelden.
Gegen Abend treffen wir in Barnaul ein, wo wir uns ein Hotel gönnen. Zelten kommt nicht in Frage, denn es regnet in Strömen. Und weil’s so schön ist gibt es gleich noch russisches Sushi zum Abendmal. Ja, so macht man das auf der Mongol Rally.

Tag 2
Der Tag fängt nicht gut an. Wenigstens für zwei der drei Teammitglieder. Nach dem Abchecken des lokalen Nachtlebens, welches übrigens vor allem grossspurig, grosskotzig und dekadent daher kommt, heisst es nach nur 2.5h Schlaf um 6 Uhr morgens Tagwache. Da rächt sich der Wodka etwas. Nur ein kleines bisschen. Das dritte Teammitglied übernimmt am Morgen das Fahren. Wir müssen 700km bis zur mongolischen Grenze zurücklegen. Aber die russischen Strassen sind gut und zwei Verdauungsapparate funktionieren wie man es sich gewohnt ist. Eine vergleichende Metapher sparen wir uns an dieser Stelle. Mongolei wir kommen.
Wir treffen als letztes Auto bei der russischen Kontrolle ein, bevor diese schliesst. Leider fehlt uns irgendein Formular aus Kasachstan. Da die Beamtin jedoch nach Hause möchte und tatsächlich Englisch spricht – das muss man sich mal auf der Zunge vergehen lassen, eine russische Staatsangestellte spricht fliessend Englisch – geht es auch ohne Formular. Also lassen wir Russland hinter uns und fahren durch den 30km breiten Niemandslandkorridor zur mongolischen Grenze. Kaum sind wir auf mongolischem Hoheitsgebiet ist fertig mit den perfekten russischen Strassen. Die Schotterpiste hat uns wieder. Wie haben wir dich vermisst! Bei der Grenzkontrolle stoppt uns ein Beamter, welcher gegen den Regen einen SS-artigen Mantel trägt. Doch wie sich herausstellt, ist der Mantel noch für mehr zu gebrauchen als nur als Regenschutz. Kaum hat er unseren Alkoholvorrat kontrolliert und unseren Wodka verschmäht, verschwindet auch schon ein Liter Bier unter dem schwarzen Ding wo sich die Dose zu qualitativ besserem Wodka und anderen Spirituosen gesellt.
Dafür kommt der Importprozess ein wenig ins Rollen. Neben uns warten noch andere Teams. Amerikaner, Südafrikaner, Engländer und zufälligerweise noch zwei andere Schweizer Teams. Als das Licht in den Büros ausgeht und die Mongolen den Laden über die Nacht schliessen machen wir es ihnen gleich und wärmen uns mit Wodka in dieser bitteren Kälte. Das Schlafen im Zelt geht mit Schlottern einher.
Mal kucken wie es morgen aussieht. Mit etwas Glück sollten alle Teams den Importprozess abgeschlossen bekommen und weiterreisen können. Wir werden sehen, jetzt wird erst mal mit den Zähnen geklappert. Nastrovje.

Tag 3
Kalt. Es ist einfach zu kalt. So kann man nicht schlafen. Da kauft man sich extra eine aufblasbare Matratze, da man aus den Fehlern von vergangen Ferien gelernt hat und man sich nun doch auch etwas gegen den kalten Boden isolieren möchte. Und dann geht dem Mistding innerhalb von zwei Stunden die Puste aus. Irgendwo haben die Matratzen von Marius und Pascal ein Loch. Nur Reto hat wieder mal eine High-Tech Version welche funktioniert. Aber hey, wir machen ja keine Kreuzfahrt.
Doch dann kommt der Tag gut. Um 9 Uhr sind alle Importformalitäten für die Autos abgeschlossen und wir können uns im Konvoy in Bewegung setzen. Auf geht es über Schotterpisten durch die Mongolei. Ganze sieben Kilometer dauert der Spass. Dann ist für uns schon wieder Ende Gelände. Wir haben wieder einmal einen Stein touchiert und verlieren Öl. Voller Elan machen wir uns an die Schadensbegutachtung und sind frohen Mutes, dass wir das Loch in der Ölwanne selbst flicken können. Schliesslich sind wir ja bei Olim, dem tajikischen Lasterfahrer in die Lehre gegangen. Doch dann die Ernüchterung. Dieses Mal wird nichts mit ein wenig Kleber. Die Ölwanne ist echt hinüber. Teile sind abgesplittert und über das ganze Gussteil sind lange Risse verstreut. Lange Gesichter. Wir lassen den Rest der Karawane weiterziehen. Da stehen wir also mal wieder, alleine mit offener Motorhaube und nichts geht mehr. Zu unserem Glück ist in zwei Kilometern Entfernung ein Dorf, wo sich unser ungeplanter Stopp bereits herumgesprochen hat. Sie schicken einen Mechaniker, welcher uns zu seiner Hütte abschleppt. Er hat ungefähr vier verschiedene Werkzeuge und ist sich sicher, dass er, trotz „Big Problem“, die Sache innerhalb eines Tages wieder in Gang bringen würde. Na gut, lassen wir ihn mal machen. Er stellt uns seiner Frau vor, welche uns sofort mit Buttermilchtee versorgt. Sehr eigenartiger Geschmack und es fällt schwer alles einfach so zu trinken. Doch des Haussegens wegen machen wir alle Tassen leer. Währenddessen fängt draussen die Arbeit an. Der Mechaniker muss alles um den Motor herum herausschrauben um an die Wanne zu kommen. Drinnen wird nicht geschraubt, sondern gewürgt. Die leere Buttermilchschale wird sofort wieder aufgefüllt, da gibt es kein Entrinnen. Wir geben unser Bestes. Nach ein paar Stunden ist die ganze Wanne ausgebaut und wir können sie näher unter die Lupe nehmen. Ganze Arbeit, das Ding sieht bereit aus, um seine verdiente letzte Ruhe auf dem Schrottplatz zu geniessen. Doch der Mechaniker geht mal los und kommt mit Kleber zurück. Viel Kleber. Er beginnt Stück für Stück die Wanne wieder zusammen zu flicken und nachdem mehrere Einheiten Kleber verbraucht sind, ist da wieder so was wie eine Ölwanne zu erkennen. Bestehend zwar aus mehr Kleber statt Guss, aber solange es funktioniert, wird dies schon gut sein. Der Erfolg wird erstmal mit mehr Buttermilchtee gefeiert. Erste Vergiftungssymptome treten auf. Doch wir sind tapfer. Nachdem die Sonne untergeht und es selbst den Mongolen zu kalt wird, ist die Wanne und der ganze Rest wieder eingebaut und siehe da, der Motor läuft wieder. Ein Hoch auf Kleber. Das muss gefeiert werden. Natürlich mit Buttermilchtee. Würgreflexe sind nicht mehr auf der ganzen Linie zu unterdrücken. Zusätzlich werden wir noch mit Ziegenfleisch versorgt. Dieses ist zwar sehr fettig, aber vom Geschmack her ganz gut. Nach dem Essen unternimmt die ganze mongolische Familie mit uns und unserem neu geflickten Auto einen kleinen Ausflug zu der Schwester der Frau. Dort gibt es, kaum zu glauben, wieder Buttermilchtee. Das wird unser Ende. Dazu gibt es eine junge Ziege, mit Haut und Haaren. Das grosse Fressen kann beginnen. Alles findet einen Abnehmer, jeder Knochen ist am Schluss blitz blank abgenagt.
Zurück in der Hütte unseres Gastgebers finden nach einer Flasche Wodka auch die Zahlungsformalitäten einen Abschluss. Hundert Dollar und einen kaputten Reifen sind wir los. Wir sind zufrieden mit dem Deal und legen uns in der Hütte auf den Boden und schlafen ein.
Tag 4
Der Tag beginnt mit Buttermilchtee. Es kann nur noch besser werden. Um halb neun Uhr setzen wir uns mit unserer Plastikölwanne in Bewegung Richtung Ulan Bator. Nach sechzig Kilometer treffen wir in einem kleinen Städtchen ein. Hier könnten wir unseren Wagen lassen wenn wir wollen. Der nächste Ort, an welchem wir unser Auto wieder abgeben können ist dann mehr als 700km entfernt. Vernünftig wie wir sind, machen wir uns auf den beschwerlichen Weg. Aufgeben kommt nicht in Frage. Wir fahren so vorsichtig wie wir können, denn wir wissen, ein Schlag genügt und wir haben ein Problem mitten im Nirgendwo. Ab und zu müssen wir kleinere Flüsse überqueren, haben aber immer Glück und schlucken nie Wasser. Pro Stunde schaffen wir zwanzig Kilometer. Es ist hart, aber es geht immer irgendwie vorwärts. Anhalten und aussteigen macht sowie so kein Spass, denn es hat abertausende aggressive Mücken, welche jede Gelegenheit wahrnehmen um an Blut zu kommen.
In der Dunkelheit der Nacht treffen wir auf ein australisches und neuseeländisches Team. Die Neuseeländer hatten bei einer Flussdurchquerung weniger Glück und fluteten ihren Motor mit Wasser. Gegen Wasser kämpfen wir auch. Wir versuchen unsere Zelte aufzustellen, werden jedoch auf das Übelste von oben begossen. Durchnässt bis auf die Knochen gehen wir schliesslich schlafen.

Tag 5
Es ist halb fünf Uhr morgens und wir befinden uns im Krieg. Der Feind greift in Form von Stechmücken und Nässe an. Wir packen unsere sieben Sachen und brechen auf. Die Kiwis und Kängurus werden uns wieder einholen, da sie viel schneller unterwegs sind als wir mit unserem Playmobil.
Doch wir kommen erstaunlich gut voran. Die grossen Steine sind weg und die Schotterpisten haben sich verwandelt in die berühmten Waschbrettstrassen. Unser Wagen vibriert so stark, dass wir Bedenken haben, dass er sich in seine Einzelteile auflöst. Es ist laut und unmöglich sich zu unterhalten.
Wir befinden uns mitten in einer endlosen Steppe. Soweit das Auge reicht ist einfach alles flach. Kein Baum, kein Busch, nichts gibt es hier. Wer Privatsphäre für gewissen persönliche Geschäfte braucht ist hier fehl am Platz.
Am Abend schlagen wir unser Zelt mitten in dieser Steppe auf und essen wieder einmal Pasta. Reto gefällt es im Zelt, Marius hört vermeintlich wilde Tiere und Pascal wünscht sich ein Hotelzimmer mit Stuck an der Decke.

Tag 6
Früh geht es wieder los. Bei einer kleinen Stadt lassen wir einen Reifen reparieren und treffen per Zufall wieder auf die Engländer, mit welchen wir beim Pamir einen Konvoy gebildet hatten. Sie haben bis jetzt noch immer kein einziges Problem mit ihrem Wagen gehabt.
Nach der Stadt quälen wir uns den Berg hoch als wir vom Team PZM überholt werden. Das Team kennen wir noch aus der Schweiz, sie haben eine Route durch Pakistan nach China gewählt.
Wir fahren mit ihnen weiter und sammeln immer mehr Teams auf. Langsam verdichtet sich alles. Am Abend wird gecampt an einem idyllischen Fluss. Lagerfeuerromantik inklusive.

Tag 7 und 8
Etwas später als sonst machen wir geht die Fahrt weiter im Konvoy. Wir bringen Kilometer um Kilometer hinter uns. Das eine oder andere Auto zeigt erste Ermüdungserscheinungen auf, doch unsere Ölwanne hält noch immer.

Tag 9
Wir haben noch 300km vor uns bevor wir das Ende unserer Reise erreichen werden. 300km auf asphaltierten Strassen. Ein Traum. Natürlich hat es da und dort mal ein Schlagloch, doch es ist ein Gefühl des Triumpfes auf einigermassen ebenen Strassen Ulan Bator entgegen zu fahren. Und dann ist da ein etwas zu grosses Loch. Ein Reifen und die dazugehörige Felge müssen geopfert werden.
Um 4 Uhr treffen wir schliesslich zusammen mit dem Team PZM in Ulan Bator ein. Es ist geschafft!

Tag 10
Kater.

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